Hinrich JW Schüler – „no man’s land“
„no man’s land“ – Niemandsland und niemandes Land, das sind imaginäre, menschenleere Urlandschaften, die wie aus dem Raume herauskristallisiert erscheinen, vorübergehend materialisiert, in eine flüchtig-ephemere Erscheinung getreten, um sich sogleich wieder in den Raum hinein aufzulösen. Lichtvolle Räume, die Stille karger Weiten, Formendynamik mit spannungsreichen Spielen von Ruhe und Bewegung dominieren diese neuen Werke.
Die kompositorischen Grundanlagen werden zunächst mit groben Spachtelspuren angelegt, anschließend werden die entstehenden Landschaften Schicht für Schicht mit vielen durchscheinend-lasierenden, fein nuancierten Farbübergängen ausgebaut und mit Details versehen, die sich wie selbstverständlich in die Gesamtkomposition einfügen. Neu an diesen Werken ist unter Anderem, dass sie auf schwerem, hochwertigem Papier entstehen, das ursprünglich für die Pastellmalerei entwickelt wurde. Seine matte und samtige Oberfläche absorbiert die Farbaufträge von pastoser und lasierender Acrylfarbe auf eine ganz spezielle Art und Weise und trägt so maßgeblich zu dem sphärischen Ein- und Ausdruck der Werke bei.
Kompositorisch und technisch ist „no man‘s land“ eine Weiterentwicklung meiner Werkreihe Abstrakte Landschaften, die jedoch inhaltlich und atmosphärisch eine ganz neue Klarheit und eine erweiterte thematische Dimension erhalten hat.
Die „no man’s land“-Werke sind Sinnbilder einer Bewusstwerdung der existentiellen Einsamkeit des Menschen, eines in die grenzenlose Freiheit geworfenen, zur Individuation, zur Selbst-Entfaltung aufgerufenen Wesens, welches sich in eben dieser Freiheit außerhalb eines mutmaßlichen göttlichen Heilsplanes bis hin zur Selbstvernichtung verwirklichen kann. Angesichts der aktuell stark präsenten Möglichkeit einer kollektiven, sozialen und ökologischen Selbstauslöschung entsteht bei Vielen die imaginäre Erinnerung an ideale Zustände und die Sehnsucht nach unbelasteten Daseinsformen – in einem unberührten Land, das frei ist von allen Prägungen, von Geschichten und Geschichte, einem Land, das (noch) niemandem gehört.
Erhobene, öko-moralisch mahnende Zeigefinger bleiben hierbei dennoch zu Gunsten künstlerischer Ästhetik aus. Ebenso wenig wird eine naive Harmoniesuche im Sinne romantisierender „Ideal-Landschaften“ angestrebt. Im Gegenteil: diese Werke setzen sich zusammen aus vielerlei Spannungen und beziehen daraus ihre Energie. Dennoch spiegeln sie Sehnsüchte wider nach unverdorbenen, nicht ruinierten (Um-) Welten, die es nur noch in der Kunst geben kann.
Biographisch fällt die Entstehung der neuen Serie in eine Zeit der Umbrüche und einer schicksalhaften Inventur von Lebensaspekten. Auf eine Art bereinigt, in neuer Umgebung und aufbauend auf einer langjährig gereiften und praktizierten künstlerischen Erfahrung entspringt sie gefühlt einer selbstverständlichen Evolution in meiner Kunst. Erstaunlicherweise entspricht „no man`s land“ noch mehr den Stimmen und Rezensionen über meine früheren Werke. Es scheint, als ob diese Entwicklung einem geheimnisvollen vorgeschriebenen Pfad, einer natürlich-obligatorischen Linie folgt.
„Hinrich JW Schülers Bilder vermitteln den Eindruck eines grenzenlosen, oft kosmisch anmutenden Raumes, dessen Weite schön und unbetretbar zugleich ist. Die offenen Bildräume zeigen bei einer Reduktion auf das Wesentliche eine breite Palette von Kargheit und Fülle, Durchdringungen und Kontraste, es sind Räume voller Licht, Farbe und Weite.“
(Egbert Wellmann, Schriftsteller und Maler, 2011)
„Faszinierend ist die Präexistenz der Landschaften Hinrich JW Schülers, die an frühere Stadien der Realität erinnern, so als ob die Landschaften kurz vor ihrem Eintritt in die Wirklichkeit stehen. Diesen Prozess vollzieht dann der Betrachter: begleitet von visionären Gefühlen entsteht dann die Landschaft in seinem Kopf, und er meint, so etwas präexistent schon einmal gesehen zu haben.
(Volker Kuhnert, Maler und Galerist, Galerie ART FORUM Oldenburg, 2011)
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Text: Hinrich Schüler (Inhalt)
Silke Tobaben (Form und Ausgestaltung)
Düsseldorf und Harsefeld, Juni 2024